Stellungnahme

Sterben Menschen mit Down-Syndrom in naher Zukunft aus?
 
"Trisomie 21 ist eine Behinderung, die Schwangere gern ausschließen wollen" lautet der Untertitel eines Bildes in der Printausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" (Ausgabe 21/2012), in dem Mutter und Vater gefühlvoll den Bauch der Schwangeren berühren.
 
Rechts oben ist ein freundlich lächelndes Mädchen mit Sommersprossen zu sehen. Wie es heißt, wo es zur Schule geht, welche Musik sie gerne hört oder was ihre Lieblingsbeschäftigung ist, bleibt der Fantasie des Betrachters überlassen. Ihre Physiognomie lässt auf Down-Syndrom schließen. Sie wird in dem Artikel von Ulrich Bahnsen nicht mehr weiter erwähnt. Dies hätte ich in einem Artikel der ZEIT schon erwartet, nicht nur die Lektüre, welche Möglichkeiten der humangenetischen Entwicklung ausgeschöpft werden können, um diese Menschen zu „verhindern“. Der Artikel macht betroffen. Es steht zu befürchten, dass es Menschen mit Down-Syndrom in naher Zukunft nicht mehr geben wird. Wohl nur eine Frage der Zeit, der finanziellen Machbarkeit und der „richtigen“ Aufklärung vor Ort beim Gynäkologen. Exklusion behinderter Menschen findet dann nicht mehr in der Gesellschaft, sondern – wie praktisch – vor ihrer Geburt statt. Man kann es auch als Auslese interpretieren und erhält einen beklemmenden Eindruck, wo unsere Wertegesellschaft hinzusteuern droht.
 
Warum, stelle ich mir die Frage, stehen gerade Menschen mit dem einen, dem 21. Chromosom, mehr in den meisten Publikationen der Humangenetiker Pate für unerwünschtes Leben?
 
Als Vater einer Tochter mit Down-Syndrom weiß ich um die Sorgen, Nöte und Schwierigkeiten, die diese Art der Behinderung mit sich bringt. Aber nach 15 Jahren Vaterschaft darf ich voller Dankbarkeit und Stolz eine Tochter in den Arm nehmen, die einzigartig ist, voll Lebensfreude, Herzlichkeit und Unbekümmertheit. Das namenlose Mädchen in Ihrem Artikel hat vermutlich ebenfalls besondere Fähigkeiten und Talente, die die meisten Ihrer Leser nicht vermuten würden. Woher auch? Selbst nach vielen erfolgreichen Jahren, in denen Frühförderung und Integrationsbemühungen die Lebensumstände von Menschen mit Down-Syndrom wesentlich verbessert haben, scheint die Wissenschaft unbeirrt ihre Bemühungen fortzusetzen, genetische Webfehler im pränatalen Stadium zu bekämpfen. Ob es dabei um schwere genetische Störungen oder eben „nur“ Trisomie 21 geht, scheint unerheblich. Bei werdenden Eltern werden eher Ängste geschürt, als dass diese durch echte Aufklärung genommen werden. Wie oft mussten meine Frau und ich uns die Frage eines Arztes gefallen lassen, wieso wir keine pränatale Diagnostik haben machen lassen. So hätte man das Kind doch verhindern können!
 
Keine Frage, Menschen mit dem einen Chromosom mehr haben Nachteile gegenüber Menschen ohne genetische Veränderung. Aber ohne sie wäre unsere Gesellschaft ärmer. Ich lade den Schreiber Ihres Artikels gerne ein, sich ein persönliches Bild von einem Mädchen mit Down-Syndrom zu machen. Ob Sie, Herr Bahnsen, dann immer noch die neuesten humangenetischen Errungenschaften als Fortschritt für Eltern und Gesellschaft betrachten, dürfte spannend sein.
 
Allen werdenden Eltern, die in nachvollziehbarer Sorge sind, ob ihr Kind auch als „gesundes“ zur Welt kommt, bitte ich, sich vor dem Schritt, eine Abtreibung wegen Trisomie 21 in Kauf zu nehmen, sich bei Mitmenschen zu erkundigen, die das Glück haben oder hatten, Kinder mit Down-Syndrom zu kennen oder diese am besten selbst kennen zu lernen. 


Dies ist ein Leserbrief, den DIE ZEIT leider nicht veröffentlicht hat,
von Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Mitglied bei einsmehr“ e.V.
 

 

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Ich wollte nicht abtreiben
Lesenswertes Interview in der Frankfurter Allgemeine (24. Nov. 2012) mit einer Frau, die ihr Kind abgetrieben hat, nachdem sie erfahren hat, dass es das Down-Syndrom haben wird.

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