Mein Name ist Hanna. Ich bin im 7. Monat schwanger, eine sog. „Erstgebärende“. Ein Junge, wenn die Ärzte sich nicht ganz stark irren.
 
Wenn mein Kleiner im Juli geboren wird, werde ich schon 30 Jahre alt sein. Ich weiß, dass ich damit  noch keine „Risikoschwangere“ bin – trotzdem nicht mehr die Jüngste und bei einem Kind soll es ja nicht bleiben. Bei meiner zweiten Untersuchung beim Gynäkologen hat er mich gefragt, ob ich eine Nackenfaltenmessung durchführen lassen wollte. Ich hatte keine Ahnung, was das genau ist und ob ich das möchte. Auf meine Nachfrage sagte er mir nur, es gäbe keine medizinische Indikation dafür, aber viele Frauen möchten das trotzdem. Er könne es nicht für mich entscheiden, mir aber nur raten, keine Nackenfaltenuntersuchung durchzuführen, wenn ich bei einer Auffälligkeit auch eine Fruchtwasserpunktion machen lassen würde. Was genau er damit meinte, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar.
 
Zu Hause habe ich mit meinem Mann gesprochen, was wir tun würden, wenn wir wüssten, dass unser Kind behindert wäre. Seine Antwort war, dass unser Kind nicht behindert sein würde und ich darüber nicht nachdenken sollte. Auch mit dieser Reaktion konnte ich zunächst wenig anfangen.
 
Also habe ich das getan, was sowohl mein Arzt als auch mein Mann nicht wollen, dass ich tue: ich habe im Internet nachgelesen. Habe mich informiert, was bei einer Nackenfaltenmessung passiert, welche Risiken eine Fruchtwasserpunktion hat, und habe viele Berichte von (werdenden) Mamis gelesen, die eine richtige oder falsche Diagnose „behindertes Kind“ erhalten hatten. Sehr oft war die Rede von Bindungsstörungen während der Schwangerschaft, ich habe von Eltern gelesen, die ihr vermeintlich behindertes Kind gesund  zur Welt gebracht haben und von solchen, die es abgetrieben und nur wenig später bitterlich bereut haben.
 
Schnell war für mich klar, was mein Arzt mir hatte sagen wollen: Ich musste entscheiden, ob ich wirklich wissen wollte, ob mein Kind „behindert“ ist. Und wenn ich den ersten Schritt (Nackenfaltenmessung) gehe, wäre dieser ohne den zweiten (Fruchtwasserpunktion) sinnlos, weil er mich nur in ein möglicherweise unnötiges emotionales Chaos stürzen würde. Eine Nackenfaltenmessung ergibt nämlich nie eine Diagnose, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit, dass das Kind behindert ist. Und auch eine unauffällige Nackenfalte ist keineswegs eine Garantie für ein gesundes Kind.
 
Ziemlich schnell konnte ich alle Gedanken auf eine Kernfrage herunterbrechen: Wenn das kleine Leben, das da in meinem Bauch heranwächst, entstanden durch die große und einzigartige Liebe zwischen zwei Menschen, nicht der „Norm“ entspricht, wenn es ein besonderes Kind ist, wenn es mehr Aufmerksamkeit bräuchte oder weniger „klug“ wäre, möchte ich dann mein Kind töten?
 
Und da verstand ich endlich auch die Reaktion meines Mannes. Unser Kind ist nicht „behindert“ -egal, wie es zur Welt kommt. Es bringt nichts, wenn wir uns darüber den Kopf zerbrechen, denn in der Endkonsequenz käme es nicht in Frage, das Leben unseres Kindes aus irgendeinem Grund zu beenden. Wir werden unseren kleinen Bauchzwerg lieben, wie alle Eltern ihre Kinder lieben und werden ihm jede Unterstützung geben, damit er gut ins Leben startet. Was für einen Unterschied würde es machen, wenn wir jetzt schon über alle Probleme Bescheid wüssten, die vielleicht – vielleicht aber auch nicht – auf uns zukommen? Es würde einen Unterschied machen. Nämlich den, dass wir die Schwangerschaft vielleicht weniger unbeschwert durchleben würden, dass wir uns doch noch einmal hinterfragen, ob wir das wirklich schaffen. Vielleicht wäre ich manchmal wütend auf mich oder mein Kind, weil es nicht „normal“ sein kann, traurig oder mutlos, wenn ich an die Zukunft denke.
 
Natürlich hoffen wir, dass unser Sohn gesund und ohne Einschränkungen zur Welt kommt. An unserer Liebe zu ihm wird sich aber nichts ändern, egal was da kommt. Ich weiß, dass der Großteil der Paare, die eine Diagnose „Down Syndrom“ erhalten, ihr Kind abtreiben lässt. Ich verstehe, warum sie das tun, kann es aber als werdende Mama nicht nachvollziehen. Ich könnte nicht damit leben, das Leben meines eigenen Kindes beendet zu haben. Und nichts anderes ist eine Abtreibung für mich. Jede Mama weiß, wie früh man auf dem Ultraschall schon sehen kann, wie das Baby sich bewegt, mit den Beinen strampelt oder die Ärmchen bewegt. Wie kann ich als Mutter ein solches Leben in meinem Bauch nicht nur ablehnen, sondern töten, nur weil es besonders sein wird? Ich bin mir sicher, dass ich diese Entscheidung den Rest meines Lebens bereuen würde.
 
Mir hat es großen Mut gemacht, einige der letzten Beiträge in dieser Rubrik zu lesen, in denen Eltern oder Angehörige von Kindern mit Down-Syndrom berichten. Natürlich habe auch ich schon Kinder und Erwachsene mit Trisomie 21 erlebt und gesehen, wie glücklich und unbeschwert sie teilweise durchs Leben gehen. Trotzdem habe ich bis zu meiner Schwangerschaft nie darüber nachgedacht, wie sich das aus der Sicht der Eltern anfühlen könnte. Dass die meisten Eltern hauptsächlich Positives über ihre Kinder berichten, hat mich in meiner Entscheidung, die ohnehin feststand, bevor ich überhaupt darüber nachdenken musste, nur bestärkt.
 
Wer übrigens mitlesen möchte, wie das letzte Trimester meiner Schwangerschaft verläuft und wie es uns kleiner Chaos-Familie danach ergeht, kann das übrigens auf meinem Blog http://www.sie-ist-schwanger.de/ oder dem meines Mannes http://www.er-ist-schwanger.de/ tun.