Menschen mit Down-Syndrom:Vom Problem, anders zu sein

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Seit der Einführung eines simplen Bluttests fürchten Experten, dass immer mehr Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben werden. Momentan sieht es nicht so aus. Doch Eltern behinderter Kinder müssen sich zunehmend rechtfertigen, warum sie sie vor der Geburt nicht haben testen lassen.

Von Berit Uhlmann

Es ist schwierig, wenn das eigene Kind das Down-Syndrom hat. "Fast nicht zu schaffen", sagen die jungen Menschen, die die typischen Züge der Trisomie 21 tragen. Sie wissen, wovon sie sprechen, und deshalb blicken sie mit verschmitztem Lächeln in die Kamera und schicken die Frage hinterher: "Aber ist das nicht für jede Mutter manchmal so?"

Kinder bereiten Sorgen, noch mehr aber verbreiten sie Glück. Egal, ob mit oder ohne Chromosomendefekt, so die Botschaft eines Videos, das die italienische Vereinigung "Coordown" anlässlich des heutigen Welt-Down-Syndrom-Tags ins Netz gestellt hat.

Der kurze Film (s. oben) wurde innerhalb von drei Tagen mehr als zwei Millionen Mal angeschaut. Das von der Werbeagentur Saatchi & Saatchi produzierte Video greift die Sorge von Betroffenen und Ethikern auf: Dass immer weniger Kinder mit Down-Syndrom geboren werden und die wenigen Betroffenen sich stärker Diskriminierung ausgesetzt sehen.

Die Besorgnis nimmt zu, seit ein Test auf dem Markt ist, dem schon ein Tropfen mütterliches Blut genügt, um mit sehr großer Sicherheit eine Trisomie 21 zu diagnostizieren. Wird der Test zur Routine? Wird das Down-Syndrom zunehmend als ein Defekt erscheinen, den es standardmäßig zu verhindern gilt? Wird ein positives Testergebnis reflexartig zur Abtreibung führen?

Rein faktisch gesehen, spricht bislang wenig dafür. Nach den Zahlen des Testanbieters Lifecodexx wurden seit Markteinführung im August 2012 etwa 5000 Ungeborene in Deutschland getestet. Das heißt, deutlich weniger als ein Prozent aller Frauen, die ein Kind zur Welt brachten, unterzogen sich der Untersuchung.

Unklar ist, ob der Test zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen führt. Die Zahl der medizinisch begründeten Abtreibungen nahm im Jahr 2013 um etwa 300 zu. Ob es am neuen Bluttest liegt, kann aber niemand mit Sicherheit sagen. Insgesamt ging die Zahl der Abtreibungen laut Statistischem Bundesamt um knapp vier Prozent zurück.

Dass der neue Bluttest einen Dammbruch ausgelöst hat, kann Peter Kozlowski, niedergelassener Pränataldiagnostiker aus Düsseldorf, nicht erkennen: "Die Schwangeren und ihre Partner gehen meines Erachtens sehr behutsam und sorgfältig mit der Entscheidung für oder gegen den Tests um", sagt er. Auch Ortud Steinlein, Direktorin des Instituts für Humangenetik an der Münchner LMU, erlebt in der Praxis keinen leichtfertigen Umgang mit dem Bluttest. Da er von den Frauen selbst gezahlt werden muss, werde vorher "eher noch gründlicher überlegt".

Fraglich ist jedoch, ob das so bleibt. Immerhin fallen die Preise für die vorgeburtliche Untersuchung rasant, so Angelika Dohr, ärztliche Beraterin bei Pro Familia in Münster. Zur Zeit der Einführung kostete der so genannte Praenatest von Lifecodexx etwa 1250 Euro, jetzt ist er für 825 Euro zu haben. Seit Sommer und Herbst 2013 sind zudem zwei neue Bluttests auf dem Markt, sie sind mit 700 und 500 Euro noch billiger. Zudem übernehmen nach Angaben von Lifecodexx mittlerweile mehr als 20 private und gesetzliche Kassen die Kosten auf individueller Basis. Damit sinkt die Hürde für den Test weiter.

Ob sich durch immer leichtere Verfügbarkeit derartiger Tests die Einstellung gegenüber dem Down-Syndrom ändert, ist noch schwieriger zu bewerten. "Wir bewegen uns hier im Gebiet der gefühlten Wahrheiten", sagt Bettina Leonhard vom Verein Lebenshilfe, der sich für die Rechte von Menschen mit geistigen Behinderungen einsetzt. Was sie in der Begegnung mit betroffenen Familien spürt, ist ein zunehmender Rechtfertigungsdruck der Eltern. Offen oder unausgesprochen steht die Frage im Raum, warum die Eltern keinen Test haben vornehmen lassen.

Dies ist umso bedenklicher, da viele Menschen gar nicht genau wissen, wie das Leben mit Trisomie 21 ist. Beraterin Dohr trifft immer wieder auf werdende Eltern, die noch nie einen Menschen mit Down-Syndrom gesehen haben. Sie würde sich wünschen, dass mehr Frauen sich schon im Vorfeld der Untersuchung informieren. "Wir vermitteln in Münster Kontakte zu einer Selbsthilfegruppe, damit die Eltern mit positivem Testergebnis betroffene Familien kennenlernen und sich selbst ein Bild machen können", sagt sie. Leider werde das Angebot nicht besonders gut angenommen.

Die Ärztin kann es den werdenden Müttern nicht verdenken. Denn Frauen, die gerade erst erfahren haben, dass sie schwanger sind, erleben jede Menge Gedanken, Gefühle, Veränderungen. Sich in dieser Situation auch noch mit der Möglichkeit eines behinderten Kindes auseinanderzusetzen, ist extrem schwer.

So stimmt letztlich - unabhängig von dem Bluttest - etwas in der Gesellschaft nicht, wenn der Umgang mit Behinderung lediglich ein Thema für Frauen in der Frühschwangerschaft ist. Wenn es - wie Dohr beobachtet - für Familien schwierig ist, einen Babysitter oder Spielkameraden für ihr Kind mit Down-Syndrom zu finden. Die Auseinandersetzung mit diesem Teil des Lebens gehört in die Gesellschaft, in die Schulen, fordert die Ärztin. Genauso wie die betroffenen Menschen mitten ins soziale Leben gehören.

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